Antisemitismus ohne Sanktionen

Für die Mitglieder der Anti-Nazi-Koordination ist es klarer Fall: Die Schlachtrufe, die antisemitische Hetze, die martialische Vermummung - allesamt Eindrücke des Aufmarsches von etwa 700 Neonazis am vorvergangenen Samstag, waren verfassungsfeindlich. Nach Einschätzung der Frankfurter Polizei aber werden Konsequenzen vor Gericht ausbleiben.

Alle bisher vorgelegten Beweise wurden ebenso wie die eigene Dokumentation des Aufmarschs von der Staatsanwaltschaft gesichtet und bewertet, sagt Polizeisprecher Jürgen Linker: "Es sind keine Aspekte bekannt geworden, die zu einer Auflösung der Demonstration hätten führen müssen."

Das sieht die Anti-Nazi-Koordination vollkommen anders und nennt ein halbes Dutzend Gründe dafür, "dass dieser Aufmarsch nie hätte stattfinden dürfen", wie Michael Weiss vom Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum erklärt. So hätten gut 150 Neonazis, die in einem Schwarzen Block marschierten und Kapuzenpullis, Sonnenbrille und Handschuhe trugen, gegen das Vermummungsverbot verstoßen. Zudem setzte der Anmelder der Demonstration, der hessische NPD-Vorsitzende Marcel Wöll, nach Erkenntnissen der Anti-Nazi-Koordination vorbestrafte Neonazis als Ordner ein und ließ zu, dass Demonstrationsteilnehmer Tätowierungen wie "Blut und Ehre" oder "H8" (in Neonazikreisen die Abkürzung für "Heil Hitler") zur Schau stellten.

Sprechchöre gegen "Judenstaat"

Besonders erschüttert war die Anti-Nazi-Koordination über die Sprechchöre der Neonazis. Kamera-Aufnahmen von Reportern belegen, dass rund 100 Demonstrationsteilnehmer "BRD, Judenstaat, wir haben Dich zum Kotzen satt" skandierten. Dass die Polizei die Veranstaltung nicht auflöste, ist für die Gruppe um den Pfarrer Hans-Christoph Stoodt ein Skandal. Ein Polizist aus einem anderen Bundesland habe ihm gesagt: "Bei uns wären die keine hundert Meter weit gekommen."

Polizei und Staatsanwaltschaft berufen sich bei ihrer Bewertung der Neonazi-Slogans auf "gültige Urteile" (Linker) und das Strafgesetzbuch. Vorwürfe, die Polizei sei mit zweierlei Maß gegen Neonazis und Gegendemonstranten vorgegangen, nennt Linker "pauschal".

Frankfurter Rundschau