Hochschule für Bildende Künste–Städelschule
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“Liebe in Zeiten des Terrorismus”
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“Liebe in Zeiten des Terrorismus”
© Hanne Loreck
“Liebe in Zeiten des Terrorismus” – der Ausstellungstitel wiegt schwer. Zwangsläufig färbt er jede Sicht auf Patrick Alts aktuelle Malerei-Installation semantisch ein. Doch ist er zu allererst ein Ready-made, eine aufgelesene Formel, die wie ein zu großes Kleidungsstück um den Körper als Bedeutungshorizont um die Installation schlackert. Aber welche Funktion hat die Information, der Titel sei ein Fundstück? Entlastet sie? Oder dramatisiert sie Kunstwerke in Richtung der rezent-historischen Superkrise, überträgt die auf einen Gewaltakt zugespitzte politische und kulturelle Angst in die Malerei? Privatisiert Kollektives? Kollektiviert Intimität?
Nichts davon trifft zu – und doch auch alles zugleich. Denn Patrick Alt ist nicht zimperlich, die Tragweite krasser symbolischer Operationen für die Malerei und für sich als Maler zu testen und Fragen der Angemessenheit mit der Provokation der Anmaßung zu konfrontieren.
Vornehmlich erweist sich die Zeile allerdings als ein Tool dafür, Malerei zu betreiben. Schließlich ist nach Marcel Duchamp eines der zur Verfügung stehenden Zugangssysteme zur Malerei das nominalistische. Betreiber von etwas zu sein, klingt primär funktional, ja mechanisch. Ich meine auch, den Aspekt einer Malerei als Mechanismus mit einer spezifischen kulturellen Tradition bei Patrick Alt wahrzunehmen. Freilich schließt sich diese Auffassung nicht mit seiner Ambition und seinem Programm aus, Malerei lebendig zu halten oder gar leibhaftig erscheinen zu lassen. Denn diesseits des Friedhofs – “Liebe und Friedhof” so der schöne Titel einer Ausstellung 2010 –, zeigt sich Alts Malerei haptisch-körperlich; sie lebt von Hautfarben, vom pastosen Auftrag, davon, wie, apropos Liebe, stricheln und streicheln materiell und gestisch zusammenkommen. Dann ist die Malerei ebenso direkt – und an diesem Punkt voll des intensiven Wünschens, sie möge unmittelbar, ‘echt’ und in ihrer Leibhaftigkeit wahrhaftig sein – wie sie raffiniert mit ihrer Geschichte und ihrem Handwerksset umzugehen versteht. Es gibt eben nicht nur eine Geschichte der Malerei, sondern auch eine Haptik der Liebe. Oberfläche, Haut kann beide verbinden. Historisch steht das Inkarnat für das durchblutete, pulsierende Fleisch, für Tiefe, die von der Haut in Form gehalten wird. Doch Fragen des Inkarnats lösen Malkästen oder Tubenfarben im Industriezeitalter lediglich nominell, mit dem Wort Fleischfarbe. Dass die Firmen Boesner, Georgia oder Old Holland darunter Töne präsentieren, die sich bis heute im weißen, europäischen Spektrum ethnischer Registrierung bewegen, sei nur am Rande bemerkt. Ganze Bilder macht Patrick Alt nun aus den Farbdifferenzen unterschiedlicher Fabrikate, überzieht Leinwände mit (einer) Haut, nicht ohne deren Pathologien, Schuppen, Geschwüre, Narben, in kleine malerische Sensationen zu verwandeln (Manifest Haut-aus-Schlag, 2009).
Verschlagworten wir den Gestus dieser Bilder, so zählen sie zur expressiven Abstraktion. Derart transportieren sie nicht länger etwas von den schaurigen Gefühlen gegenüber der grundsätzlichen Unzulänglichkeit der Repräsentation alles Lebendigen, beginnend mit dem Inkarnat. Natürlich gehören Frauen zu diesem Problem in der Malerei und auch in Patrick Alts Malerei, die sich allgemein von Klischees und Standards fasziniert zeigt. Folgerichtig vollzieht seine jüngste Ausstellung in einem wesentlichen Teil eine Wende, weg von der gestischen Abstraktion, hin zur Figürlichkeit. Aus Frauen, so bestätigt Georges Didi-Huberman noch einmal die bekannte Gleichung in seiner Lektüre von Balzacs Das unbekannte Meisterwerk, sei die Malerei gemacht. Und der Kunsthistoriker Thierry de Duve entwendet der Psychoanalyse ihre klassische Idee der Sublimation in der Version, Malerei müsse als “das Übertragungsobjekt einer sublimierten Libido, deren ‘primäres’ Objekt die Frau ist”, gelten. De Duves Thema: der Münchner Marcel Duchamp von 1912. Mutmaßlich war der Künstler dorthin einer Frau gefolgt; er hatte bis dahin ausschließlich gemalt und malte noch immer, wiewohl nicht mehr lange, fügt er doch ein Jahr später, 1913, das erste Ready-made in den Kunstkreislauf ein. Daher beobachtet de Duve sein Werk – jenseits konkreter biographischer Daten – bezüglich der bedeutsamen Relation von Malerei und Frau: Wird Malerei in Richtung der Frau transformiert, so interessiere die “’Verkleidung’ des erotischen Themas”. Ist das Verhältnis Frau – Malerei ausschlaggebend, “fällt der Akzent auf die Verdichtungs-, Verschiebungs- und vor allem auf die Darstellungs- (oder Entstellungs-)arbeit”. Schon vor dem Münchenaufenthalt hatte Marcel Duchamp die Malerei als “olfaktive Masturbation” charakterisiert. Er hatte damit eine Metapher gewählt, die zwar ‘Handarbeit’ in Zeiten beschleunigter Industrialisierung als unproduktiv zu erkennen gibt, deren Ironie aber (seine) körperlich-sexuelle Einsamkeit nur mühsam camoufliert. Patrick Alt gibt dieser speziellen Körpersache eine Wendung und lässt Tarnmuster aus Hauttönen entstehen, um damit Oberflächen ebenso kriegerisch zu animieren wie in der Simulation reduzierter Sichtbarkeit zu versiegeln – Liebe in Zeiten des Terrorismus.
Bald schon wird Marcel Duchamp die Sehnsucht nach einer Frau von der gemalten Darstellung ihres Antlitzes, ihrer Figur lösen und sie, die Jungfrau, Braut und Verheiratete, als poetische Funktion innerhalb des erotisch-sexuellen Mechanismus zirkulieren lassen. Begehrte nicht minder, figuriert sie nun als Teil einer (Paar-)Relation.
Kein Wunder also, dass Patrick Alt eher DIE Frau in Form von Abwandlungen ein und desselben Models zeigt, einer glatten digital animierten Normerscheinung. Ihre hübsche Formel wird von ihm fünffach durchdekliniert; einmal macht sie ihr von Bild zu Bild immer dicker wucherndes, schwarzes Haar einäugig, dann lässt ein gräuliches Inkarnat sie krank erscheinen, oder ein Grauschleier übersetzt sich in einen Bartschatten und taucht seine Trägerin in geschlechtliche Ambivalenz.
Doch drohen neben den Gefahren des Realen, von Haut und Haar und Geschlecht, die des Systems. Warum sonst teilt Patrick Alt zwei Blumen-Arbeiten eine Wächterfunktion rechts und links des Eingangs zu? Es gibt also mindestens zweierlei zu kontrollieren, die Unzuverlässigkeit des Körpers und seiner Ekstasen und die Berechenbarkeit des Diskurses. Zu letzterer gehört sicherlich die Frage, warum ausgerechnet Blumenstillleben die installative Szenerie flankieren? Sehen wir sie als Ausdruck maximaler Ambivalenz zwischen der Neugier auf ein traditionelles Genre, dessen kulturelle und ästhetische Möglichkeiten endgültig verblasst zu sein scheinen, und dem lebhaften Wunsch, im derart Schönen und Unmittelbaren eine Erfüllung zu finden, die ihrerseits Ähnlichkeiten mit der Erfüllung mit einer Frau aufweisen kann – auf der Ebene der Sublimation und der der Repräsentation. Indes ist die nächste symbolische Operation längst platziert, wenn solche unmöglichen Blumenstilleben Kunstworte wie PIN, TAN oder PUK tragen. Bekanntermaßen handelt es sich dabei um die Bezeichnung von Codes, die einen Zugang zu elektronischen Transaktionen, Informationen und Kommunikationsformaten ermöglichen – und die hier die Ausstellung freischalten.
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