Michael Pfrommer. Ausstellungseröffnung 9. Mai, 19.00-21.00


Michael Pfrommer
Ohne Titel,
Aquarell und Tusche auf Papier auf Baumwolle mit Rahmung,
Verso: Zeichnung, Bleistift auf Baumwolle
78 x 59 cm

MICHAEL PFROMMER

10. Mai – 6. Juni 2014

In Micheal Pfrommers Bildern sieht man immer wieder Kleidungsstücke, die irgendwie ihre Träger zu imitieren scheinen, in dem sie – innen hohl – die äußere Form eines menschlichen Körpers annehmen können. Man blickt zum Beispiel in das leere Innenfutter eines Anzugs, der aufrecht vor einem steht oder aber fein säuberlich aufdrapiert ist, wie für eine Schaufensterdekoration, um dann wieder, zwar schlapp wie ein abgelegter Freund, jedoch keck wie ein lustiger Voyeur, mit anderen, „echten" Menschen gemeinsam in einem Bett zu übernachten.

In einem recht dunklen Märchen von Hans Christian Andersen aus dem Jahre 1847 mit dem Titel „Der Schatten" geht es um einen Mann auf Reisen, der seinen eigenen Schatten dazu bringt, sich von ihm zu trennen, um etwas auszukundschaften, was der Mann allein nicht bewerkstelligen kann. Der Schatten kehrt jedoch nicht mehr zu seinem Herrn zurück. Erst Jahre später, als ein Schatten, der nun in Kleidern steckt und so wie ein Mensch aus Fleisch und Blut erscheinen möchte, klopft er eines Abends an die Tür seines ehemaligen, nun kränkelnden Herrn und dreht sodann den Spieß mehr als nur um, in dem er nämlich den gelehrten, aber gutgläubigen Mann dazu überredet, für einen geschenkten Kuraufenthalt als Gegenleistung, wiederum seinen Schatten, angeblich nur zum Schein, zu spielen. Im Laufe der Ereignisse wird der ehemalige Herr, nun Pseudo-Schatten, mehr und mehr von seinem einstigen, untergebenen Schatten, nun Pseudo-Herrn, abhängig. Solange bis ihm keiner mehr glaubt, dass er einmal ein Mensch war oder es eigentlich ja noch immer ist. Die gemeine Schattenexistenz aber, zwischenzeitlich durch eine getrickste Hochzeit auch noch König geworden, erklärt den gutmütigen für verrückt und lässt ihn sogar öffentlich hinrichten.

Die von Pfrommer gemalten und gezeichneten Menschen entstammen Personen seines privaten Umfeldes, die in seinen Bildern als Varianten einer Art oder einer Familie, als Doppelgänger, Geschwister, Schatten oder als einander auf unterschiedliche Art und Weise ähnlich sehende Hybride vorkommen. Zwar gibt es kein wie in der eben zitierten Erzählung von Hans Christian Andersen hierarchisches Verhältnis zwischen ihnen – auch weil sie ja alle „nur" Versionen sind – eher scheinen sie nicht nur untereinander gleich, sondern auch gleich viel wert zu sein wie die Gegenstände, die Landschaften und die Architekturen, mit denen sie zu Bildräumen verschmolzen sind. Durch malerische Kontrast- und Schärfesetzungen aber werden die aus unterschiedlichen Welten kommenden Versatzstücke von Menschen, Dingen und Natur in diesen Bildern in eine Art formales wie gleichsam narratives Spannungsverhältnis gebracht. Manche Bildteile vermengen sich auch so, dass sie wie in einer fotografischen Mehrfachbelichtung einander durchdringen und in das Wesen des anderen einzudringen vermögen. Dies passiert nicht nur in friedlicher Absicht, wie beispielsweise in dem Bild mit dem Kissen, auf dem jemand ruht und das mit seinem Muster, wie zum Zeichen gegenseitiger Übereinkunft, das Gesicht der Schläferin überlagert, sondern auch so, wie auf dem Bild, auf dem parasitäre Schwämme oder Pilze einer menschlichen Hand habhaft werden. Es gibt sie nämlich wirklich, die Gattung der Cordyceps, zu den Schlauchpilzen gehörige Parasiten, die nicht nur in den Körper, sondern auch in das Gehirn ihres Wirtes eindringen können und so dessen Handlungen fernsteuern. Rossameisen beispielsweise werden durch diesen Zombiefungus derart manipuliert, dass sie die Gruppe ihrer Artgenossen einfach unvorsichtig verlassen und sie schließlich, während der Parasit nun seine fleischartigen Stromata immer mehr auf ihren Körpern ausbreitet, die Ameise folglich immer mehr zu einem Pilz mutiert, alleine sterben. In einer auf einem Stück Zeitungspapier gefertigten Arbeit Pfrommers hat ein solcher Fungus wohl eine menschliche Hand zum vermeintlichen Gastgeber gemacht. Was auf den ersten Blick wie gespreizte Finger, möglicherweise als ein Teil eines im Gras liegenden menschlichen Körpers erscheint und durchaus naturromantisch daher kommt, erweist sich auf den zweiten eher als Menschenteil, das langsam aber sicher zu einer anderen Spezies, mit einem völlig anderen, äußeren Erscheinungsbild und möglicherweise auch neuem Gehirn oder zumindest Vorhaben werden wird.

Man muss das allerdings alles auch nicht so kriminalistisch angehen. Michael Pfrommer erzählt mir, dass er immer mit Gegenständen und Menschen seiner nächsten Umgebung zu arbeiten beginnt, um eben überhaupt mit etwas anzufangen und zu sehen, beim Machen, was ihn eigentlich daran interessiert. Während dieses Vorganges käme aber schon das Genre und das Wissen darüber, das wir ja alle mehr oder weniger haben, herein in den Prozess. Also: das Genre Landschaftsbild, das Seestück, das Porträt usw. Dann müsse man eben damit wieder etwas machen, wieder neu anfangen und das dann in den verschiedenen Techniken probieren: Zeichnung, Wasserfarbe, Gouache, Tusche. Solange, bis man für das Bild seine richtige Machart gefunden hätte. Meist gäbe es nur eine, sehr selten würden zwei gleichermaßen gut für eine Sache sein. Wichtig wäre, dass die einzelnen Bildelemente ihre individuelle Beschaffenheit, ihre eigene Qualität bewahren und außerdem zusammen, besser gemeinsam mit den anderen Bildteilen zu einem Bildraum, also zu dem, was man ein gutes Bild nennt, werden. Das gefällt mir und ja, es gibt von vielen Bildern viele Varianten, was ich wiederum persönlich gerne als einen Gegenentwurf zu der Behauptung, Malerei habe zwangsläufig mehr mit dem Begriff des Originals zu tun als andere künstlerische Medien, lesen möchte.

So gibt es auch mehrere Darstellungen von Socken bei Pfrommer, in manchen davon stecken, in manchen schlafwandeln leicht behaarte Beine , das ganze erweist sich bei genauem Hinsehen als eine Art Zaubertrick – wie der mit der Jungfrau, die angeblich durchsägt wird und alsdann in zwei Teilen existiert, und wir alle wissen, dass ein Teil davon nur eine Attrappe ist. Eigentümliche Schatten- und Faltenwürfe auf den Fußbekleidungen in diesen Bildern lassen nämlich darauf schließen, dass diese horizontal, beispielsweise auf einem Tisch liegend, gemalt oder gezeichnet, hernach im rechten Winkel gedreht wurden und dann die hohle Strumpfform mit einem Bein oder einer Prothese aufgefüllt oder eben eigentlich an das gemalten Bein angesetzt wurde.

Täuschungs- oder Darstellungsmanöver anderer Art gibt es bei den Bildern von Michael Pfrommer, in denen Versatzstücke aus anderen seiner Bildmotive gleichsam heran gezoomt und ausgeschnitten werden: Strukturen von Fußböden, Fliessen oder Mauersteinen, die plötzlich allein stehend eher an ein abstraktes Gemälde, an eine minimalistische Darstellung denken lassen oder aber uns wie unter Drogeneinfluss als mäanderndes, grafisches Muster sogartig anziehen. Außerdem Zäune und gitterartige Absperrungen vor Fenstern oder Balkonen, durch die der Blick geleitet wird und wir nicht gleich wissen, was vorne und was hinten ist, und ob wir noch Betrachter sind oder schon in die bevorstehende Handlung hinein gekippt sind.

Was ich am Anfang dieses Textes – möglicherweise absichtlich – vergessen habe, ist, dass der Protagonist aus „Der Schatten", der diesen erst von sich fortschickt, nachts auf einem Balkon im Süden – sie sagen 1847 „Altan" dazu – sitzt und durch dessen Gitter eine wundersame Erscheinung auf einem der gegenüberliegenden Balkone sieht. Erst dann schickt er, neugierig geworden, seinen Schatten, eben diesen Altan zu betreten und die dazu gehörige Wohnung auszukundschaften, da es dazu von der Straße her keinen Zugang zu geben scheint. Der Schatten verschwindet aber alsdann, ohne ihm erst etwas von der Wohnung und allem, was dazugehört, zu berichten. Erst Jahre später kommt er wieder und meint, er hätte damals dort, hinter dem Balkon, alles gesehen und alles erfahren. Also wirklich alles. Weiter könne er das dem ehemaligen Herrn auch nicht erklären. Ich bin überzeugt, dass da der trickreiche Plan des dunklen Schattens schon längst begonnen hat.

Kerstin Cmelka im April, 2014 



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