Ausstellung / Exhibition: Gebaerden und Ausdruck

Gebaerden und Ausdruck

Mit Arbeiten von Liz Craft, Michaela Eichwald, Fanal, Birke Gorm, Julia Haller, Honey Suckle Company, Helena Huneke, Stefan Kern, Kontakt Sappho, Veit Laurent Kurz & Ben Schumacher & Stefan Tcherepnin, pcnc_bay und Steit

Birke Gorm, IOU, 2016

18. Dezember 2016 – 12. Februar 2017
Eroeffnung: Samstag, 17. Dezember 2016, 19 Uhr
Ort: Halle fuer Kunst Lueneburg, Reichenbachstrasse 2, 21335 Lueneburg

"Gebaerden und Ausdruck" ist der zweite Teil einer 3-teiligen Ausstellungsreihe, die im Fruehjahr dieses Jahres begonnen wurde und in 2017 weitergefuehrt werden soll. In ihr schreibt sich ein Interesse fort, das bereits Ausgangspunkt der Ueberlegungen zweier Ausstellungen in der Halle fuer Kunst war: Zum einen das Interesse am Moment der Ambiguitaet und Ambivalenz in der zeitgenoessischen Kunst („Ueber das Radikale Nebeneinander“, 2014), zum anderen das an Kenneth Angers Vorstellung vom Film und damit von kultureller und kuenstlerischer Produktion als magisches Ritual, die kontraer zu dem scheint, was sich heute als zutiefst zwiespaeltiges und ebenso fragwuerdiges, von wirtschaftlichen und Machtinteressen durchsetztes Feld der Kunst zeigt („Magic Lantern Cycle“, 2015).

Waehrend sich der erste Teil der Reihe dem Begriff Fantasie gewidmet hat, wendet sich der zweite nun dem Begriff Ausdruck zu; gefolgt von einem dritten Teil, der den Begriff Authentizitaet ins Blickfeld ruecken wird. Alle drei Teile verstehen sich als ineinandergreifende Aspekte eines Nachdenkens ueber kuenstlerische Praxis und gruenden in dem Versuch, Begriffe fuer jene Momente zu finden, die an kuenstlerischen Arbeiten interessant sind; also positiv zu benennen, was denn nun die Aspekte sind, die auf Interesse und Resonanz stoßen, und nicht nur in einer Negation zu formulieren, dass sich manch zeitgenoessische Kunst zu sehr im Durchdeklinieren von Referenzen, im Aufrufen eines kritischen Impetus, in einem Diskurs geschulten Vokabular oder in der glatten Oberflaeche erschoepft. Erstaunlich ist, dass bei diesem Versuch vor allem Begriffe ins Blickfeld ruecken, die vornehmlich als obsolet und reaktionaer gelten (Fantasie, Ausdruck, Authentizitaet). Was jedoch auch interessant ist, und zwar insofern als sich darin ein Begehren zu zeigen scheint, ebenjene Begriffe auch fuer zeitgenoessische Kunst nutzbar zu machen, da mit ihnen offenbar etwas benannt werden kann, das mit dem Wesen und Mehrwert von Kunst zu tun hat; also etwas, das nicht nur Wissen und Erfahrung, sondern auch Intensitaeten zu erzeugen vermag. Anliegen der Ausstellungsreihe ist es daher, sich den genannten Begriffen mit dem Bewusstsein von ihrer Aufgeladenheit und Fragwuerdigkeit jenseits eines klischeehaften Verstaendnisses zu naehern, um zu gucken, wie weit und wohin man mit ihnen kommen kann. Allerdings hat sich die Gemengelage in den letzten Jahren verkompliziert. So sieht sich vor dem Hintergrund einer immer lauter werdenden Kritik an entleerten kritischen und politisierten Kunstpraktiken zwar das Aufrufen ebenjener Momente nicht mehr gleich dem Generalverdacht ausgesetzt, einem hoffnungslos altbackenen Kunstbegriff zuzuarbeiten, doch gilt es nun Sensibilitaeten dafuer zu entwickeln, dass sich im Zuge der Kritik am "Politischen als Stil" (James Meyer) nicht eine "Neue Empfindsamkeit", quasi eine "Intensitaet als Stil" einschleicht; basierend auf der Reaktivierung einer auf das Formale beschraenkten Vorstellung von der Autonomie der Kunst.

Waehrend die Fantasie Grundlage jeglichen Erkennens bildet – denn die Seele denkt, so Aristoteles, nicht ohne Bilder – und rein imaginaer bleiben kann, ist es hingegen das Wesen des Ausdrucks sinnlich in Erscheinung zu treten. Ausdruck oder etwas ausdruecken oder sich selber ausdruecken ist jedoch im Unterschied zum Zeichen, das entsprechend festgelegter Konventionen auf etwas hindeutet und benennt, nicht auf eine einfache Bezeichnungsbeziehung oder ein Repraesentationsmodell zurueckfuehren. Vielmehr zeigt sich im Ausdruck eine latente und eben nicht explizite Bedeutung; eine Bedeutung also, die nicht ueber den Umweg des Sinnzusammenhangs, sondern unmittelbar erzeugt wird, die tendenziell unbestimmt, unabgeschlossen und unendlich ist. Diesem Moment des Unmittelbaren und Ungesaettigten, dessen Annaeherung ganz im Sinne des Ausdrucksverstehens keine Sache der Decodierung ist, gilt das die Ausstellung leitende Interesse. Wenn im Bezug auf die Fantasie galt, dass diese jeglicher kuenstlerischen Praxis zugrunde liege, da in ihr imaginaere Bilder mittels Einbildungskraft in reale ueberfuehrt werden, so scheint diese Allgemeingueltigkeit fuer den Ausdruck indes nicht zuzutreffen. Kann doch ein Gros an zeitgenoessischer Kunst als reine Transformationsleistung, als reines Zeichen gesehen werden, das in einem einfachen Referenzmodell aufzugehen scheint. So zielt die Ausstellung explizit auf kuenstlerische Arbeiten, die gerade nicht in der Repraesentation ihre Voraussetzung finden. Auch wenn damit Momente des Unmittelbaren und Unabgeschlossenen im Vordergrund stehen, soll es jedoch nicht um kuenstlerische Praktiken gehen, die sich in einem reinen Ausagieren von Unmittelbarkeit erschoepfen. Zwar liegt das Augenmerk auf dem Unmittelbaren, ohne jedoch ausschließen zu wollen, dass es in den adressierten Arbeiten auch Ebenen gibt, die etwas Spezifisches meinen oder auf etwas Konkretes referieren. Wenn Ausdruck also ein zur Erfahrung Kommen ist, ihm jedoch keine Referenzbeziehung zugrunde liegt, so stellt sich die Frage, was oder wer sich da eigentlich ausdrueckt, wenn sich etwas ausdrueckt. Landlaeufig wird mit Ausdruck ganz essentialistisch ein Selbst verbunden, es kann sich aber auch etwas durch etwas anderes hindurch ausdruecken (bspw. durch ein Medium). Dabei dient das, durch das etwas ausgedrueckt wird, als Instrument und markiert so die Kehrseite dessen, was Benjamin als 'Sprachmagie' bezeichnet hat; wobei er unter 'Sprache' saemtliche Aeußerungen verstanden wissen will, sie also von jeglicher Wortgebundenheit losloest. 'Etwas durch etwas' ausdruecken unterscheidet sich demnach von 'etwas in etwas' ausdruecken. Ist mit dem ersten ein instrumenteller Gebrauch gemeint, durch den Informationen und Inhalte mitgeteilt werden, so bezieht sich das zweite auf jene Ebene des Sprechens, bei der eine vom Sinn unabhaengige Bedeutung erzeugt wird. Diese ist, auch wenn sie mit dem Inhalt des Gesagten nicht uebereinstimmen muss, ja sogar ueber das Gesagte hinausgehen kann, dennoch der Sprache implizit und teilt sich in ihr unmittelbar mit. Diese Idee der Sprachmagie, die auch als 'Ausdrucksmagie' bezeichnet werden kann, scheint im Kontext der Ausstellung gerade deshalb interessant, da mit ihr der Versuch unternommen wird, die Wirksamkeit des Ausdrucks daraufhin zu denken, dass sich im Ausgedrueckten eben etwas anderes zeigt als das Repraesentierte. Ausdruck kann aber auch aufgefuehrt werden (etwa im Schauspiel), wobei sich diese Form des Ausdrucks von der zuvor beschriebenen unterscheidet. Sind doch unter anderem die Gefuehle, die von den Schauspieler/innen gezeigt werden, nicht zwangslaeufig auch ihre, sondern werden lediglich in Szene gesetzt, verdanken sich mithin einer bestimmten Regeln folgenden Uebersetzung. Eine aehnliche, nicht mit sich selbst identische Exemplifikation kann auch fuer kuenstlerische Werke gelten. Koennen diese doch beispielsweise Traurigkeit ausdruecken, ohne dass sie selbst traurig sind (oder auch nur traurig sein koennten) wie auch die Kuenstler/innen nicht zwangslaeufig Traurigkeit empfunden haben muessen, um die Werke anzufertigen. Dies bedeutet, dass der Gegenstand, um eine Eigenschaft ausdruecken zu koennen, diese jedoch nicht auch tatsaechlich haben muss. Er kann sie allein metaphorisch, muss sie aber eben nicht buchstaeblich besitzen. Folglich kann Ausdruck auch Effekt sein. Dies heißt aber nicht, dass er dadurch auch 'unwahr' ist. Stellt sich doch angesichts der Bedingt- und Konstruiertheit von Subjekten ohnehin die Frage, ob letztlich nicht jede Ausdrucksaeußerung konstituierenden Bedingungen unterliegt, es demnach also gar keinen "wahren" (aber eben auch keinen "unwahren") Ausdruck geben kann. Was wiederum bedeutet, dass jede Vorstellung von Substanz oder Essenz ins Leere laufen muss. Ausdruck ist also an keine Substanz gebunden, obgleich er relational ist und sich auf etwas zurueckfuehren laesst. Wenn also vom Selbst die Rede ist (etwa das Selbst des Kuenstlers oder das Selbst des Werkes), ist damit eben nicht ein authentisches, ungebrochenes, mit sich selbst eins seiendes, sprich ein nicht konstruiertes gemeint. Um dieser Ambivalenz gerecht zu werden, aber auch um Ausdruck als etwas ueber den intendierten Sinn Hinausgehendes, tendenziell Unbestimmtes nicht aufgeben zu muessen, muss beides, d.h. Ausdruck und Konstruktion, zusammengedacht werden. In diesem Versuch scheint eine Naehe zu den Riten der Besessenheit auf, denn auch diese sind, so Michel Leiris, ein zwiespaeltiger Zustand, bei dem das Verhalten des Besessenen sowohl von echter Beteiligung als auch von an Konventionen geschulten Ausdrucksformen (etwa die Art wie die Besessenen den sie in Besitz nehmenden Geist zu verkoerpern haben) gekennzeichnet ist. Obwohl die Besessenheit sich folglich als ein letztlich kontrolliertes Unterfangen erweist, bedeutet die Regulierung und Formalisierung des Besessenseins jedoch nicht, dass es auch in allen Stuecken kuenstlich fabriziert ist. Denn das Interessante und Entscheidende liegt gerade darin, dass die Besessenen zwar eine Rolle spielen, dies aber in dem Glauben, dass sie unter Einwirkung einer tatsaechlichen Macht staenden. Etwas Sein und etwas Darstellen ist hier also kein Widerspruch. Vielmehr fallen Taeuschung und reale Bekundung in eins, so dass das Besessensein als gelebtes und nicht als gespieltes Theater zu begreifen ist. Denn waere es reines Theater, waere es folgenlos. Es wird jedoch von einem Moment des Magischen getragen, bei dem die Wirkung das Register der sie verursachenden Handlungen uebersteigt. Interessant scheint in diesem Zusammenhang, dass auch der Expressionismus - seinem Namen nach der Expression verpflichtet - von einem Ineinanderfallen von Konstruktion und Expression und damit von einer Aufloesung ihrer scheinbaren Gegensaetzlichkeit gekennzeichnet ist. Expressive Kunst kann eine sehr stark konstruierte sein, wenn auch keinen vorgegebenen, kanonischen Regeln folgend, sondern Regeln, die ihren Ursprung in ihr selbst finden und nicht andernorts entlehnt sind. Ausdruck ist hier also an eine relative Autonomie gebunden. Ein weiterer Aspekt des Expressionismus ist es, dass sich bei ihm der Ausdruck in den Arbeiten als Ganzes zeigt, das heißt in bestimmten Eigenschaften, die sie als realisierte Konstellationen aufweisen, und nicht in vereinzelten Zeichen, die an etwas Auszusagendes rueckzubinden sind. Da fuer den Expressionismus also das relevant ist, was ausgeloest, und nicht das, was ausgesagt wird, erweist er sich vom Zwang zur Narration ebenso befreit wie vom vorgefertigten Zeichen. Folglich koennte in seinen Praemissen auch eine Antwort auf die Frage liegen, ob und wie sich jenseits von Referenz sowie Fest- und Zuschreibung sprechen ließe. Unabhaengig all dieser Ueberlegungen ist Ausdruck jedoch zuallererst einmal ein in Beziehungtreten und weist Momente der Begegnung und Kommunikation auf. Denn der Mensch bringt sich, so Benjamin, in der 'Sprache' zum Ausdruck, teilt sich mit und zwar dem Anderen mit. Damit liegt im Ausdruck der Zugang zum Anderen, wird uns dieser im Ausdruck erst gegenwaertig. Denn sich ausdruecken laesst sich nicht delegieren. Der Mensch kann zwar von anderen repraesentiert, aber eben nicht ausgedrueckt werden. Und in dieser Bezugnahme, in diesem sich an und auf den Anderen (Aus)Richten liegt denn vermutlich auch jene Intensitaet begruendet, die der Ausdruck jenseits von Mitteilung und Aussage zu erzeugen vermag.

Veranstaltungen

"Kunst und Kuchen" Spezial
Musik und Videos von Fanal (Kai Althoff)

Sonntag, 18. Dezember 2016, ab 15.00 Uhr


"Ausdruckstanz" – Workshop mit Helga Gerhard-Schroeder und Anneliese Maaß
Samstag, 21. Januar 2017, 15.00 – 16.30 Uhr
Fuer Kinder, Jugendliche und Erwachsene

"Wuthering Sappho" – Musikperformance von Sonja Cvitkovic, Michaela Meise und Birgit Megerle
Sonntag, 29. Januar 2017, 16.00 Uhr

"Mitglieder fuehren" mit Cornelia Kastelan
Mittwoch, 01. Februar 2017, 18.00 Uhr

"Druckwerkstatt"
Samstag, 04. Februar 2017, 11.00 – 13.00 Uhr
Fuer Kinder und Jugendliche von 6 bis 12 Jahren

Die Ausstellung wird grosszuegig gefoerdert durch das Land Niedersachsen, die Sparkassenstiftung Lueneburg, den Lueneburgischen Landschaftsverband und die Hansestadt Lueneburg. Das Vermittlungsprogramm wird ermoeglicht durch das Land Niedersachsen, die VGH-Stiftung und die Niedersaechsische Lotto-Sport-Stiftung.